Tafel , Tränen , Schinkenwurst - Opa im Coronastress

Opa vor Kisten mit Lebensmitteln

Während in den sozialen Medien Helfer als Helden gefeiert werden, sieht die Realität in Zeiten von Corona, Quarantäne und Co so gar nicht heldenhaft aus, wie ich in den letzten Wochen selber an meinem alten Krötenleib schmerzhaft zu spüren bekommen habe – Helfen in diesen Tagen ist Schwerstarbeit für die man mehr abwertende Blicke erntet als Applaus!

Als vor 6 Wochen der Anruf kam, dass die Tafelausgaben in der Region wozu auch unsere gehört, geschlossen bleiben müssen traf uns das unerwartet – wie ein Schlag ins Gesicht! Hätte ich noch Zähne, sie wären mir vor Scheck herausgefallen. Die Gedanken kreisten in unseren Köpfen, wie sollen unsere Tafelgäste das bloß schaffen? Tage, Wochen ohne ausreichende finanzielle Rücklagen können sie gar nicht bestehen in Zeiten wo Menschen wie Paviane in die Geschäfte strömen um Mehl und Toilettenpapier in Massen herauszuschleppen! Rücksicht suchst du vergebens. In den nächsten Stunden kamen und gingen unzählige Gedanken und Ideen – dann am nächsten Morgen der rettende Einfall. Wir probieren es einfach selber...zu Fuß...nur mit Einkaufstrolleys und Bollerwagen im Schlepptau und einer ehrenamtlichen Hilfsschwester fürs Grobe. Aber würden die Geschäfte da mit machen? Würden wir genug Lebensmittel bekommen? Schnell wurde der erste Plan gefertigt mit einer Route quer durchs Dorf. 

Zu Beginn sollte unser Lieferservice vor allem für all diejenigen sein, die zur Risikogruppe gehören also älter oder krank sind, knapp 20 Personen zählten wir dazu – machbar das war uns sofort klar. Wenig später die Ernüchterung – nach und nach schrieben uns mehr und mehr Gäste an wie groß doch gerade die aktuelle Not ist, sie Geld leihen müssten oder erst gar kein Geld vom Amt überwiesen bekommen haben...es dauerte nicht lange und unsere Liste wurde länger...und länger...und noch länger, bis schließlich die gesamte Anzahl von knapp 100 Personen Woche für Woche mit Lebensmittel versorgt werden musste. Es dauerte 5 Minuten bis wir auch den Schock wie trockenes Brot geschluckt hatten – eine große Frage stand im Raum: Wie sollen wir bloß trotz Hamsterkäufen und Lieferengpässen in den Supermärkten jede Woche genug Lebensmittel zusammen bekommen damit niemand auf der Strecke bleiben muss?? Unser erster Weg führte uns unweigerlich zu den Geschäften im Dorf, bange Minuten in denen ich mehr Angstschweiß im T-shirt hatte als beim Sommerurlaub auf Malle, aber dann die Erlösung – alle Geschäfte waren damit einverstanden, dass wir die Lebensmittel täglich mitnehmen können, die normalerweise die Tafel abholt. Juchu!! Der Brocken der da vom Herzen rollte hätte locker eine Gruppe Pilger erschlagen können. Fehlte nur noch ein geeigneter Bollerwagen aber auch der war zum Glück schnell gefunden und ausgeliehen, so dass nach dem okay der Tafel unserem kleinen mobilen Lieferservice nichts mehr im Wege stand... oder etwa doch?

Die Freude sollte tatsächlich nicht allzu lange anhalten. Einen Tag vor dem geplanten Start vor 5 Wochen wartete völlig unverhofft in einem kleinen Bäckerladen nämlich die nächste Enttäuschung. Während wir uns noch über die Brot- und Kuchenreste freuten, die dort lagen und uns förmlich anflehten dass wir sie doch bitte mitnehmen sollen, nahte schon der Bäckermeister...Wumms da kam der nächste Schlag! Hatte er uns noch einige Tage vorher sofort zugesagt waren wir jetzt kurz vor einem Rausschmiss. Aber was war passiert? Die Tafel hatte bei ihrer Schließung allen Geschäften in einem Schreiben mitgeteilt, dass sie die nächste Zeit keine Lebensmittel abholen kommen und dieses Schreiben wurde uns nun in diesem Moment zum Verhängnis. Der vorher freundliche Bäckermeister behandelte uns plötzlich wie aussetzige Bettler, die seine Reste klauen wollen und scheuchte uns mit den Worten „Da kann ja jeder kommen“ aus seinem Laden. Wieder auf der Straße machte sich Verzweiflung und Wut in uns breit – was wenn alle dieses Schreiben jetzt als Vorwand nahmen um uns keine Lebensmittel zu geben, uns die seit fast 4 Jahren im Dorf die Ausgabestelle leiten, die jeder kennt?! Wäre die Straße frisch geteert gewesen, ich hätte mich drauf gelegt und gewartet bis ich mit ihr zusammen fest werde. Tränen rannen über unser Gesicht, am liebsten hätten wir in unserer Wut bei der Tafel angerufen und unseren Frust über diesen blöden Zettel Luft gemacht, aber es war Abend und nutzlos. Eine weitere schlaflose Nacht folgte bis wir am nächsten Morgen mit Herzrasen und Magenschmerzen im ersten Supermarkt standen. Ich muss gestehen, mit meinen 500 Jahren hatte ich in dem Moment schon etwas Angst das war es jetzt – ein erfülltes Krötenleben endet je in einem Supermarkt aus Angst keine Lebensmittel zu bekommen, ich hätte heulen können...schon wieder oder immer noch? Und dann der große Augenblick – da standen sie wunderschön und groß vor uns, diese magischen Kisten voller Obst und Gemüse mit ein bisschen Tiefkühlkost und Brot – was für ein toller Moment, wow! Schnell packten wir alles ein, es könnte ja noch jemand kommen und uns wieder von unserem „Schatz“ trennen! Und auch im zweiten Geschäft bekamen wir problemlos die Lebensmittel. Wir waren für einen Tag, für DEN ersten Tag gerettet! 


Überglücklich starteten wir zu dritt in unser großes Abenteuer Lieferservice mit vollen Einkauftrolleys und klapperndem Bollerwagen. 6 Familien konnten wir mit unserer Ausbeute des Tages versorgen. 6 Familien die garantiert diese Woche nicht hungern müssen weil wir die Taschen widererwarten voll bekommen haben. Trotz aller Widerstände, Anfeindungen und bösen Blicken, die uns während der nächsten Wochen öfters begegnen sollten. Nein helfen ist wahrlich kein Spaziergang auch nicht zu Coronazeiten, sondern ein erbitterter Kampf in dem deutlich wird, dass viele Köche nicht nur den Kartoffelbrei versalzen, sondern auch zu viele Hilfsbereite Hilfe eher erschweren als fördern! Uns wurde schnell klar – wenn wir unsere Tafelgäste nicht nur in guten Zeiten, sondern auch in schlechten Zeiten unterstützen wollen, müssen wir kämpfen und Reserven anlegen! Die Lebensmittel wurden aufgeteilt, unser Keller und der unserer Hilfsschwester zum Lager umgebaut und gehamstert was das Zeug hält. Niemand wusste wie lange das mit den Geschäften noch gut geht oder wie lange die Schließung noch anhält, wir mussten vorsorgen...und bereit sein zum Sprung, in den sozialen Medien immer einen Schritt weiter sein aber nie zu viel verraten und die Situation mit scharfen Krötenaugen beobachten. Der Kampf um die knappen Lebensmittel sollte uns die gesamten Wochen begleiten, jeden Tag aufs Neue und Nachts im Traum. Jeden Tag wussten wir nicht ob die Menge reicht oder ob einer vor uns bereits da war. An manchen Tagen hatten wir Sorge die Menge durchs Dorf transportiert zu bekommen, wieder an anderen hatten wir die Angst im Nacken nicht einmal eine Familie damit unterstützen zu können. Aber es hat geklappt – Woche für Woche bei herrlichem Sonnenschein. Der liebe Gott war jeden Tag an unserer Seite, anders können wir uns das nicht mehr erklären, dass alles so gut trotz allem funktioniert hat! Wie oft haben wir ihm auf dem Weg und Abends im Bett ein Dankeslied gesungen, dass er unsere unzähligen Stoßgebete auch am 10. und 20. Tag noch erhört hat in dieser ohnehin schon schweren Zeit.

Kontinuität und Hoffnung gab uns während der gesamten unendlich langen Zeit tatsächlich ein ganz banales wie besonderes Lebensmittel – die „Schinkenwurst“ oder besser gesagt haufenweise Geflügel-Lyoner! Diese Wurst ist eine Wucht und das aus dem Mund eines Vegetariers...stellt euch vor, wir hatten so viel dass wir sie an den Kellerwänden nach oben stapeln konnten, ich glaube man hätte mit der Menge sogar den Kölner Dom von Innen neu tapezieren können. Wenn wir nichts hatten, hatten wir immer noch die Sicherheit dieser Geflügelwurst. Irgendwann haben wir aufgehört sie aus den Kartons zu nehmen, so dass unsere Gäste irgendwann selber kartonweise Schinkenwurst ihr Eigen nennen konnten -  was für andere das Toilettenpapier war, war für unsere Gäste die Wurst, eine nicht zu unterschätzende Kapitalanlage in schlechten Zeiten! Unverhofft aber gerne genommen haben wir auch das Angebot der Foodsharer, die uns 3 Mal die Woche mit ihren übriggebliebenen Lebensmitteln zusätzlich unterstützten, die sonst zu einem benachbarten Tierpark gegangen wären. Diese konnten wir dann am späten Nachmittag für die Gäste verwenden, die aus der angrenzenden Stadt normalerweise mit dem Bus zu uns kommen und wir so nicht zu Fuß erreichen konnten. Tja Füße, puh wenn ich die heute fragen würde wie sie diese Zeit empfanden, würden sie wahrscheinlich kein positives Wort mehr über uns verlieren, sondern ihre verdickte Hornhaut, ihre Blasen und Blessuren her zeigen wie ein stilles Mahnmal und das obwohl wir stellenweise schon so manchen Bus mit dem Bollerwagen drangsaliert haben bis die Busfahrer mit ihren Nerven und ihrer Geduld am Ende waren, damit wir die schweren Wagen nicht über jede Anhöhe schleppen mussten. Gute 5 bis 6 Kilometer kamen da trotzdem täglich an strammen Fußmarsch so zusammen...weit mehr als 100 Kilometer haben wir zurückgelegt und keinen dieser Schritte auch nur einen Moment bereut. Jede Woche aufs Neue zu sehen, wie unsere Gäste immer noch gesund und munter uns an der Tür begrüßten, gab uns so viel positive Energie wie sonst nur eine Solarlampe einem Glühwürmchen geben kann. Trotz allem sind wir aber unendlich glücklich wenn wir jetzt wieder die Tür zu unserer regulären Ausgabestelle aufschließen können und wissen, wir bekommen auf jeden Fall genug Lebensmittel von der Tafel dafür jede Woche zur Verfügung gestellt – ein unbezahlbares Geschenk, dass wir jetzt noch mehr als je zuvor zu schätzen wissen wo wir plötzlich alleine ohne Rückhalt die Verantwortung übernommen haben! Indianer Jonas hätte seine wahre Freude an diesem Abenteuer gehabt.

Es hat uns noch mehr die Augen geöffnet, dass man Dinge niemals als selbstverständlich nehmen sollte auch wenn sie lange schon Routine geworden sind. Von einem Moment auf den nächsten kann plötzlich alles anders sein und die liebgewonnene Routine bricht wie ein Baguette entzwei. 100 Menschen zu versorgen war schon eine echt krasse Herausforderung, aber Tausende ist eine absolute Mammutaufgabe vor der ich den Hut ziehe, auch wenn man dann meine nicht vorhandenen Haare sehen würde. Schade dass die Tafeln auch heute noch von vielen Menschen so abschätzig angesehen werden obwohl sie jeden Tag so wertvolle Arbeit leisten. „Müllsucher, Dreckwühler oder auch billiges Abfallunternehmen“ sind da nur einige der Argumente mit denen auch wir während der letzten Wochen immer wieder zu kämpfen hatten und wenn es nur durch ihr Handeln war und nicht immer mit ihren Worten. Wenn Mitarbeiter aus der Restekiste noch den besten Salat vor deinen Augen wieder herausnehmen, weil ein Kaninchen mehr Wert ist als ein Mensch dann frage ich mich manchmal in welcher Welt leben wir eigentlich?! Es ist erschreckend wie schnell man doch tief sinken kann im Ansehen einiger Personen. Und dann die vielen Erklärungen – „Entschuldigung das ist nicht für uns selber, damit versorgen wir bedürftige Familien!“, die mit einem müden Blick abgetan werden nach dem Motto „Wer es glaubt wird selig“. Versteht mich nicht falsch, ich brauche kein Lob und keinen Dank für das was wir getan haben, denn wir haben es aus freien Stücken heraus getan mit dem dringenden Bedürfnis weiterhin für unsere Gäste dazu sein. Eben wie ein Anker in dieser hoffnungslosen Zeit in der wir alle mit einem Haufen Probleme konfrontiert werden von denen keiner so wirklich weiß wie er sie lösen soll. Was ich mir mit diesem ehrlichen Text einfach wünsche ist Akzeptanz gegenüber all denen Menschen, die sich einsetzen egal in welchem Bereich. Helfen ist, wenn man es richtig tut und nicht nur um sich gerade mal ein bisschen wichtig zu fühlen vor anderen, kein entspannter Waldspaziergang und garantiert auch kein Ausflug in den Zoo – das ist harte Arbeit, die notwendig ist weil vieles nur von Ehrenamtlichen übernommen werden kann und welche ohne Corona einen schon manchmal die letzten Nerven raubt! Sein wir doch mal ehrlich, ohne Ehrenamtliche die sich nicht zu schade sind aus dem schimmeligen Abfall noch was Essbares zu suchen, in dreckiger Erde Samen aussäen oder sich gegen Widerstände auflehnen wäre jedes Land ein ganzes Stück ärmer – denkt mal bitte darüber nach bevor ihr einen Menschen dafür verurteilt, was er da macht! Ich möchte aber auch Danke sagen, Danke an die Menschen, die uns während der ganzen Zeit unterstützt haben einfach weil sie uns haben machen lassen! Weil sie die vollen Wagen aus der Kühlung geholt, uns einfach mal ein Lächeln geschenkt oder ein paar Konserven auf dem Weg zugesteckt haben...ihr seid einfach toll und wir sind froh euch auf unseren Wegen begegnet zu sein!

Rückblickend kann ich sagen es war eine schwierige aber auch schöne Zeit, mit Höhen und vielen Tiefen. Wir haben viel gelacht und geweint aber nie den Mut verloren. So manches Mal hätten wir Menschen, einschließlich die von der Tafel an den Mast binden, unsere Hilfsschwester vergraben und den Bollerwagen den nächsten Abhang hinunterschubsen können und dennoch werden wir die vergangenen Wochen niemals vergessen. Und spätestens bei der nächsten Schinkenwurstwerbung werden wir zusammen sitzen und denken: „Weißt du noch damals unser Lieferdienstabenteuer bei Corona – das waren vielleicht Zeiten!“ 


So ihr Lieben, jetzt werde ich meinen Muskelkater noch etwas ausruhen bevor auch mich als Maskottchen wieder der Tafelalltag einholt – natürlich mit Mundschutz und Abstand wie es sich zu dieser Zeit gehört! Alles Liebe eurer geschaffter aber glücklicher Opa Whoopi und seine Pflegerinnen.

 

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