Wenn das Leben nur noch Angst und Schrecken kennt - Rassismus und die Folgen für die Opfer
Was würde es mit euch machen, wenn euch jemand auf offener
Straße bespuckt und abwertend beschimpft?? Würdet ihr denken, was für ein
Vollidiot und nicht mehr weiter darüber nachdenken oder würdet ihr euch
erschrecken?? Und wie fühlt es sich an, wenn das keine einmalige Situation
wäre, wenn es euch immer und immer wieder in ganz verschiedenen Kontexten und
ohne Vorwarnung passieren würde??? Wenn fremde Menschen euch verfolgen oder
sogar anfassen??? Was macht dieser Gedanke mit euch...in euch???
Ganz schön viele Fragen für den Anfang, ich weiß, aber denkt
ruhig mal 5 Minuten darüber nach und spürt in euch hinein während eurer Kopfkino
euch die jeweilige Situation zeigt...
Also ich muss gestehen, mir macht dieser Gedanke Angst und
ich spüre wie sich meine Schuppen nach oben locken!!! So geht es vielen
Menschen jeden Tag. Sie tragen die vielen „kleinen“ Angriffe mit sich wie einen
Sack Steine und täglich oder wöchentlich kommen neue Steine hinzu. Anstatt
davon ein Haus bauen zu können, mauern diese Steine ihre Seele mehr und mehr
ein bis sie niemanden mehr trauen können. Isoliert, voller Angst und Zweifel ziehen
sie sich zurück. Manche werden aggressiv, mache hören auf zu sprechen oder
gehen nicht mehr aus dem Haus. Die Bandbreite an Problemen füllt eine halbe
Enzyklopädie!
Nicht selten entwickeln Menschen, die Hass und Gewalt erleben
schwerwiegende psychische Erkrankungen. Dazu zählen zum einen die Angststörungen.
Klar denkt ihr jetzt Angst hat doch jeder mal von uns – vor Spinnen, Algen oder
das der Wecker wieder viel zu früh klingelt. Das geht tatsächlich jedem so,
dass er vor irgendetwas Angst hat, aber davon schreibe ich hier nicht. Eine
Angststörung ist tausend Mal schlimmer. Meist gehen sie mit körperlichen
Symptomen einher wie Schweißausbrüchen gegen die jedes Deo machtlos scheint,
Herzrasen wie beim ersten Date, man ist Atemlos auch am Tag, zittert wie in der
Kältekammer oder bekommt Magenprobleme wie nach einem vermoderten Hummer – euer
ganzer Körper ist quasi im Ausnahmezustand – und das übel Freunde, ganz übel!!!
Wenn eine solche Angststörung nicht behandelt wird, kann sie sich sogar
generalisieren, was das Ganze noch mal verschlimmert. Ich geb euch mal eine
Beispiel: Stellt euch mal vor ihr habt Angst vor eurer Schwiegermutter.
Normalerweise denkt ihr wahrscheinlich „och nee nicht die schon wieder“, schlaft
die Nacht vorher schlecht und seit froh wenn sie wieder geht. So weit so gut.
Nicht aber bei einer ernstzunehmenden Angststörung. Dabei seit ihr schon eine
Woche vor ihrem angekündigten Besuch richtig krank, gereizt und völlig am Ende
eurer Nerven. Irgendwann schaut ihr erst aus dem Fenster ob sie irgendwo lauert
bevor ihr das Haus verlasst, bekommt schon schwitzige und zittrige Hände wenn
das Telefon klingelt, denn sie könnte ja anrufen oder wenn sich eure Störung generalisiert
habt ihr schon Angst wenn euch eine Person begegnet, die Ähnlichkeit mit eurer
Schwiegermutter hat. Dann beginnt ihr diese Situationen und Plätze zu meiden
und seit immer mehr durch eure Angst in eurem Alltag eingeschränkt. So geht es
auch vielen Menschen, die wiederholt Opfer von Mobbing, Rassismus, Hate Speech oder
einer anderen Form von Diskriminierung geworden sind.
Wieder andere geraten in eine Depression aus der sie alleine
nicht wieder hinaus finden, geben sich an den Angriffen die Schuld und
versuchen sich das Leben zu nehmen. Ist ja auch kein Wunder, stellt euch mal
vor ihr seit unter den größten Anstrengungen aus eurem Heimatland geflohen,
habt auf dem Weg viel Leid erfahren und kommt endlich in einem vermeintlich sicheren
Land an – und dann erfährst du dauern rassistische Angriffe! Was muss das aus
einem Menschen machen? All seine Hoffnung ist einfach dahin und das nachdem bereits
so viele traumatische Erlebnisse durchstanden werden mussten.
Suchterkrankungen, Essstörungen, Borderline oder auch eine
Psychose - sie alle können ausgelöst
werden, wenn bereits labile Seelen noch weiter verletzt werden. Worauf ich aber
noch mal besonders eingehen möchte, ist die posttraumatische Belastungsstörung
PTBS. Jedes noch so kleine Trauma führt zu einer bleibenden Wunde auf der Seele
der Betroffenen. Werden diese zu viele oder sind die Wunden zu groß wird der
Körper krank. Man kann kein Pflaster auf die Stelle kleben und auch ein Gips
ist wirkungslos wenn man einer verletzten Seele helfen will. Diskriminierungen
und Rassismus können zu solch tiefen Wunden führen. Wie ihr im ersten Artikel
lesen konntet, wirkt jedes Wort und jede Tag wie ein Messerstich. Das Tückische
an einer solchen posttraumatischen Belastungsstörung ist, dass sie nicht direkt
nach einem traumatischen Erlebnis entsteht, sondern erst einige Wochen später. Oft
trifft sie die Betroffenen wie ein Komet aus dem All. Urplötzlich werden sie
von Alträumen geplagt, schrecken aus dem Schlaf hoch wie wenn ein Mückenschwarm
zum Buffet ruft oder bekommen sogenannte Flashbacks, zumeist am Tage sehen sie
oder hören sie das Erlebte und fühlen die selbe Angst in diesem Moment. Diese
Erinnerungen sind nicht beeinflussbar, sondern drängen sich immer wieder unwillkürlich
auf. So kann jemand beim Kartoffelschneiden plötzlich die Drohungen des Täters
im Ohr haben und panisch das Messer beiseitelegen. Nach und nach versuchen traumatisierte
Menschen alle möglichen Trigger, also auslösenden Situationen zu vermeiden. Andere
Menschen in ihrem Umfeld empfinden sie oft als unnahbar, abwesend oder
desinteressiert weil sie sich immer mehr in sich zurückziehen und kaum noch
Interesse an ihrer Umwelt zeigen. Viele leiden unter Schlafstörungen entweder
durch die Alpträume oder aus Angst sie wieder zu bekommen versuchen sie so lange
wie möglich wach zu bleiben. Sie sind schreckhaft, häufig gereizt, können sich
schlechter konzentrieren, wirken fahrig oder beginnen aus heiterem Himmel an zu
weinen. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sind vielfältig
und belasten den Betroffenen und sein familiäres Umfeld extrem. Genauso wie bei
einer Depression geben sie sich häufig selber die Schuld oder schämen sich
dafür, dass ausgerecht ihnen so etwas passiert ist. Nicht selten entwickelt
sich aus einer PTBS erst eine Depression, eine Suchterkrankung, eine
Angststörung oder auch eine Psychose. Die Koexistenz weiterer psychischer
Erkrankungen ist häufig und erschwert eine adäquate Behandlung. Leider führt
eine unbehandelte Belastungsstörung in gut einem Drittel der Fälle zu einer
Chronifizierung mit weitreichenden Folgen. Und nein, dafür braucht es nicht
erst einen massiven körperlichen Angriff, dafür reichen schon wiederholte Worte
oder Gesten wenn eine Seele bereits angeschlagen ist. Irgendwann besteht das Leben nur noch aus Angst und Schrecken...
von ihr weg, schubst sie grundlos an der Fußgängerampel oder schikaniert sie auf der Arbeit. All das setzt sich in ihrer Seele fest. Da sie alleinerziehend ist und nur ihre pflegebedürftige Schwiegermutter bei sich und ihren Kindern hat, hat sie auch niemanden mit dem sie über das Erlebte sprechen kann – das belastet sie sehr. Nachts kann sie deswegen immer seltener einschlafen, sie grübelt viel und wirkt immer öfter gereizt obwohl sie das gar nicht möchte. Ayshe hat das Gefühl ihr wird alles zu viel, selbst die Rouladen im Ofen machen sie traurig wie sie da so liegen und sich bräunen lassen. Sie zweifelt mittlerweile ob es die richtige Entscheidung war ihre Heimat zu verlassen und hier in diesem vermeintlich sicheren Land eine neue Zukunft für sich und ihre Kinder aufzubauen. Aber was hätte sie für eine Alternative gehabt, hat sie doch schon ihren Mann verloren so wollte sie wenigstens ihre Kinder schützen. Und dann kommt die Wut, warum die Menschen sie nicht in frieden leben lassen nach allem was sie durchstehen musste. Wann immer möglich, geht Ayshe jetzt zu Fuß zur Arbeit auch wenn sie dafür eine halbe Stunde Fußweg einplanen muss morgens und mittags. Aber so spart sie sich wenigstens die Schikanen im Bus. Wenn ihr auf dem Weg zu viele Menschen begegnen, nimmt sie auch schon mal einen Umweg weshalb sie in letzter Zeit häufiger zu spät zur Arbeit kam. Auch ihre Lieblingspuddingschnecken kauft sie nicht mehr bei dem kleinen Dorfbäcker um die Ecke, weil die Verkäuferin so unfreundlich ihr gegenüber war und ihr vorwarf, Ausländer wollten eh alles nur vom Vortag. Daraufhin erhielt sie für den normalen Verkaufspreis immer nur noch die alten Backwaren, die sonst niemand mehr nahm. Aus Angst, dass es ihr überall so ergehen könnte meidet sie mittlerweile jeden Bäcker und kauft ihr Brot nur noch im Supermarkt. Wenn sie nur einen Bäcker sieht, hat sie sofort die Worte der Verkäuferin im Ohr und bekommt Herzrasen, sodass sie schneller geht. Vor ihren Kindern versucht sie all das zu verheimlichen und erzählt ihnen der Bus hätte Verspätung gehabt oder die Puddingschnecken waren ausverkauft. Viel zu sehr schämt sie sich dafür, dass sie Angst hat. Ayshe braucht dringend Hilfe, damit es nicht zu einer psychischen Erkrankung kommt aber wo soll sie diese herbekommen?
So oder so ähnlich beginnen viele Geschichten von Menschen,
die durch die Diskriminierung anderer ganz langsam in eine psychische Erkrankung
hineingeraten sind. Oft haben sie es lange gar nicht gemerkt, bis es schon viel
zu spät und die Behandlung umso schwieriger ist. Möchte man das Gefühlsleben von
Opfern diskriminierender Angriffe verstehen, muss man sich nur immer vor Augen
halten, wie man sich selber in solch einer Situation fühlen würde.
So und jetzt lass ich
euch mal mit euren Gedanken und Gefühlen alleine...eurer grübelnder Opa
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