Die gestiefelte Kröte oder der Beginn der Armenspeisung

Ein Bauer hatte drei Söhne, eine alte Kornmühle, einen Acker, einen Esel und eine alte Schildkröte. Während die Söhne das Korn mahlen mussten, holte der Esel treu das Korn und trug das fertige Mehl fort und die Schildkröte – tja die legte sich am liebsten in der Sonne und schaute dem regen Treiben auf dem Hof zu.

Als nun der Tag kam, an dem der Bauer starb, teilten sich seine Söhne das karge Erbe. Der Erstgeborene erhielt den Hof mit der Mühle und den Acker, der Zweitgeborene den fleißigen Esel und der Jüngste die träge Schildkröte.

„Tut mir leid,“ sagte der Erstgeborene zum Jüngsten als er ihm die Schildkröte reichte. Da war der Letztgeborene sehr traurig und begann jämmerlich zu weinen: „Oh weh, nichts ist schlimmer als dieses faule Vieh. Mein ältester Bruder wird mit dem Bauernhof und der Mühle bald heiraten und ein bescheidenes, aber schönes Leben führen können. Der andere hat wenigstens ein Tier auf dem er durchs Land reiten kann und ich? Ich habe nur eine faule, gefräßige Schildkröte bekommen, die für nichts gut ist.“

Da kam ihm eine Idee:“ Wenn ich ihm den Panzer wenigstens abnehmen lassen könnte, den könnte ich dann noch zu Geld machen, dann wäre ich sie los.“

„Bursche, hör“, die Schildkröte hatte ihm zugehört und drehte nun langsam ihren Kopf in seine Richtung. „Wenn du Geld brauchst, hilft dir nicht mein lahmer Panzer, der hat seine besten Tage schon lange hinter sich gelassen. Ich habe da eine viel bessere Idee! Lass mir ein Paar Stiefel fertigen, sodass ich ausgehen kann zur feinen Gesellschaft. Du wirst schon sehen, wie schnell deine Truhe sich füllt.“ Die Schildkröte funkelte ihn aus ihren Augen heraus an. „Wie lange willst du noch hier stehen und herumtrödeln?“

Der Bauernsohn glaubte nicht was er sah. Eine Schildköte die sprechen konnte? Das letzte Glas Wein gestern Abend muss eins zu viel gewesen sein. Der Schumacher liegt auf dem Weg, dachte er bei sich, ihn zu fragen kann ja nicht schaden. Als er den Preis für das Paar Stiefel hörte, wurde ihm ganz anders. „Sollte ich wirklich mein letztes Geld für dieses nutzlose Vieh hergeben?“ Die Schildkröte muss seine Gedanken geahnt haben, denn sie wendete sich einem paar Gummistiefeln zu, die  verloren in einer Pfütze standen. „Passen perfekt, es kann los gehen!“  Alsdann schwang sie sich ihren Brotbeutel über den Panzer, forderte von ihrem Besitzer 2 Goldtaler für den Buskarren ein und machte sich schließlich auf den Weg.

Zu dieser Zeit regierte ein alter, aber gnädiger König das Land. Sein Bart war weiß wie das Mehl der Mühle und er liebte Torten über alles. Eines Tages brach am Hofe große Not aus, denn der Hofbäcker brach sich beim Hühnerfangen beide Arme und konnte keine leckeren Torten und ausgefallenen Törtchen mehr zu Hofe bringen. So weinte der arme König tagein, tagaus ohne sich um sein Land zu kümmern. „Es ist aus mit mir, oh meine geliebten Cremeschnittchen, ich werde immer magerer, seht nur Untertanen, das ist mein Ende!!!“ Der Weg zum Thron war bereits gepflastert mit Taschentüchern und so schickte er die besten Bäcker des Landes in die Backstube des Hofbäckers. Sie sollten seinen Hunger stillen und ihm seine geliebten Torten servieren. Es kamen Bäcker von fern und nah, doch mehr als einen Streuselkuchen konnten sie ihm nicht backen. Einmal dachte einer, er hätte es geschafft. Doch der König ließ ihn ungesehen in den Kerker werfen, denn seine überaus feine Buttercremetorte war nur ein Klumpen Butter mit einer Erdbeere drauf und nicht annähernd so delikat wie eine echte Torte.

Die Schildkröte hatte dem Schauspiel von seinem Versteck aus zugesehen. Sie lag gemütlich unter dem großen Tisch in der Backstube und freute sich der Dummheit der Bäckergesellen. War doch nun ihre große Stunde gekommen. Da sie tagsüber bei der Arbeit des Bauern immer einschlief, konnte sie nachts nicht schlafen. So wanderte sie immer durch die Mühle und las dabei so manch interessantes Backbuch. Als der Letzte die Backstube verlassen hatte, machte sie sich auf die Suche nach den passenden Zutaten für ihre süße Kreation. Sie knetete und mischte und backte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen bewunderte sie stolz ihr Werk – eine dreistöckige Schokoladentorte mit flüssigem Kirschkern und Kaffeebohnen als Dekoration. Die Schildkröte lachte zufrieden, als sie die Torte auf ihrem Panzer festband, um sie zu Hofe zu tragen. Die Backstube lag zu Fuße des Schlosses und so verwunderte es nicht, dass die arme Schildkröte bis zur Abenddämmerung brauchte, bis sie völlig erschöpft an den Schlosswachen vorbeikroch. „Alte Kröte wohin des Wegs?“ „Herr Wachmeister, ich bin auf dem Weg zum König. Ich habe eine delikate Überraschung für ihn.“ Die Wachen lachten laut bei den Worten der Schildkröte. „Wenn du zähes Vieh delikat bist, fresse ich meinen Sperr auf. Aber geh ruhig, vielleicht hört der König dann mal auf zu weinen, wenn er abgelenkt ist.“ „Schönes Kissen hast du da auf deinem Rücken,“ spottete ein zweiter Wachmann, der nicht glauben konnte, dass die Torte auf ihrem Rücken echt sein sollte.

Das Schloss war größer als gedacht und die Torte drückte schwer auf den Panzer. Beim König angekommen, schnallte sie sich die Torte vom Rücken und machte keuchend und nach Luft ringend eine Verbeugung vor ihm. „Junge, Junge erstick mir nicht, solange ich nicht weiß was dich zu mir führt,“ rief der König sorgenvoll ohne auf die Torte neben ihr zu achten. „Werter König, mein Herr der Graf Carrabas lässt sich empfehlen. Er sandte mich ihnen dieses Meisterwerk höfischer Backkunst zu übergeben, die er unter erschwerten Bedingungen extra für eure Majestät fertigte. Ich garantiere ihnen, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum dieses Schokoladentraumes noch nicht überschritten wurde und wünsche ihnen einen guten Appetit.“

Der König staunte beim Anblick der Torte, welche ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. „Oh welch eine Freude, eine wahrhaft königliche Torte“, vor Freude warf er sein zuvor benutztes Taschentuch so hoch in die Luft, dass es auf der Schildkröte zum Liegen kam. „Man gebe der Schildkröte so viel Gold wie sie nur tragen kann für den Grafen mit, los seid ja nicht geizig, der Bäcker um die Ecke bekam sonst auch immer ein saftiges Trinkgeld.

Währenddessen saß ihr Besitzer unten im Dorf im Wirtshaus und betrank seinen Kummer. „Nichts als eine faule Kröte haben sie mir gelassen, ich armer Wicht bin von Gott und der Welt verloren!“ Da sprang mit einem Satz die Türe auf und die Schildkröte trat ein. „Na ist das ein Benehmen, dass einem Grafen geziemt? Hier hast du dein Gold! Bestell mir einen Fencheltee und ich erzähl dir alles.“ Der Herr schaute auf das Gold. „Ist das alles meins?“ „Ja sicher, ich kann es nicht gebrauchen!“ Inzwischen brachte die Wirtin das Wasser für den Tee. Unsicher schaute sie erst die Schildkröte, dann den armen Bauernsohn an und ging kopfschüttelnd von dannen. Die Schildkröte zog sich seine Gummistiefel aus und legte sich eine Socke in das heiße Wasser mit dem Tee. „Puh was stinkt hier so!“ Nach und nach entfernten sich die andern Gäste aus der kleinen Wirtsstube.

„Das würzige Aroma der weiten Welt liegt in der Luft, was meist du?“

 „Ich meine schon lange nicht mehr.“

„Ich schon,“ langsam nahm die Schildkröte einen Schluck Tee bevor sie weitersprach. „Ich meine, du solltest noch reicher werden und dich dann für andere einsetzen, denen es genauso geht wie dir gerade!“

„Was hab ich schon zu geben, außer mein letztes Geld!“

„Vertrauest du mir?“

„Habe ich eine andere Wahl“, fragend schaute er seine Schildkröte an. Vielleicht war sie doch nicht so unnütz wie er immer glaubte.

Und so backte die Schildkröte aller Tage herrliche Cremetorten, feine Obsttörtchen oder die neusten Kreationen aus allen Herrenländern bis der Hofbäcker wieder selbst backen konnte. Jedes Mal brachte sie abends ihrem Herrn Gold nach Hause. Aber nicht nur das, auf dem Weg zur Backstube begegnetet ihr jeden Morgen arme Männer und Frauen, die auf einem Feld schuften mussten. Sie sahen abgemagert und bleich aus.

„Wer ist euer Herr,“ wollte die Kröte eines Tages wissen.

Während die Männer auf dem Feld sie ungläubig beäugten, antwortete ihr eine schon ältere, bucklige Frau: „Unser Herr ist ein böser Zauberer, der sich nicht um uns kümmert. Das ist unser Schicksal, mehr als trocken Brot und stilles Wasser sind wir nicht wert.“

Betrübt und nachdenklich ging die Schildkröte weiter ihrer Wege. In der Backstube angekommen grübelte sie den halben Tag, bis ihr eine Idee kam. „Wenn ich sowieso schon am Backen bin, kann ich für die armen Feldarbeiter gleich mitbacken,“ kam es ihr in den Sinn. Ab da an, schnallte sie sich die Torte auf den Panzer und füllte in ihren Beutel mit so vielen frisch gebackene und mit Käse belegten Brötchen und trockenen Kuchen wie sie nur eben mit ihrem gebrechlichen Panzer tragen konnte. Bei Hofe war sie angesehen und konnte sich frei bewegen. Die Hofdamen verwöhnten sie nur so mit Käse, Tomaten oder Salatblättern, die sie als Belag für ihre Brötchen nutze. Nachdem sie beim König ihre Torte abgab und das Gold verstaut hatte, machte sie sich auf den Weg zu den Feldarbeitern.

„Ihr müsst doch hungrig sein, ich habe belegte Brötchen und Kuchen für euch mitgebracht. Esst so viel ihr könnt!“

Waren sie am Anfang auch skeptisch der milden Gabe der Schildkröte, fassten sie doch schnell vertrauen zu diesem wunderlichen Tierchen in Gummistiefeln. All Abendlich warteten sie nun auf sie und die belegten Brötchen.

„Ich will mit eurem Herren ein Scherzchen wagen. Hört, morgen werden mein Herr, der König und seine Tochter in der Kutsche hier lang fahren. Wenn euch der König fragt, wem diese Länder gehören, so antwortet: „Sie gehören dem Grafen Carrabas, hab ihr mich verstanden?“

Die Feldarbeiten nickten auch wenn es ihnen gar wunderlich vorkam.

Am Abend setzte sie sich ihrem Herrn gegenüber und sah ihn ernst an. „Hör zu! Wenn du ein echter Graf werden und anderen Gutes tun möchtest, dann muss du morgen Abend im Waldsee baden gehen. Das ist kein Vorschlag, sondern ein Befehl!“ Während sie so sprach zog sie sich die schwitzigen Gummistiefel aus und warf sie in die Richtung des Herrn, der nicht auf ihr Worte reagieren wollte.

„Puh du Stinktier, ich geh ja zum See. Aber nur, wenn du nächstens deine Stiefel draußen vor der Tür stehen lässt!“

„Abgemacht, ich wusste doch, dass das hilft,“ lachte die Schildkröte und sammelte ihre Stiefel wieder ein.

Die Sonne schimmerte Rotgold am Himmel, als ihr Herr sich ins kalte Wasser begab. Während er so schwamm, klaute die Schildkröte schnell seine Kleider und versteckte sie hinter einem großen Stein. Gerade rechtzeitig, denn schon näherte sich die Kutsche des Königs.

„Hey du, was machst du hier in dieser verlassenen Gegend,“ wollte der König wissen, als er die Schildkröte erblickte.

„Majestät, ein großes Unglück ist geschehen. Mein Herr, der Graf Carrabas, planschte ganz unbesorgt im klaren Wasser, als Diebe ihm seine Kleider entwendeten. Nun kann er nicht mehr aus dem kalten Wasser entsteigen.“

Der König, der dem Grafen und seiner Schildkröte sehr verbunden war aufgrund der vorzüglichen Backkünste, ließ dem armen Kerl sogleich die schönsten Kleider bringen und lud ihn in seine Kutsche ein. Auch seine Tochter war von dem jungen, gutaussehenden Grafen nicht abgeneigt und Lächelte verlegen. Nur die Schildkröte hatte die Zeit genutzt vorauszulaufen. Am Feld und Acker mahnte sie den Arbeitern noch einmal das gestrige zu wiederholen, wenn der König sie fragte und auch den Waldarbeitern erzählte sie genau, was sie zu sagen hatten. Da die Schildkröte sprechen konnte und auf Gummistiefeln ging, hielten sie sie für einen guten Zauberer und gehorchten. So kam es, dass jeder Arbeiter fleißig seinen Text sagte und der König nicht mehr aus dem Staunen kam angesichts der prunkvollen Länder des jungen Grafen.

Am Ende des Waldes lag ein großes steinernes Schloss. In diesem wohnte der böse Zauberer, der Herr über all die Ländereien war. Die Schildkröte stellte sich ihm mutig entgegen. „Was willst du dummes Vieh, soll ich dich zu Schildkrötensuppe verarbeiten lassen?“ Der Zauberer blickte mürrisch auf die Schildkröte herunter.

„Herr Zauberer, ich möchte gar ihre Zauber sehen,“ sprach sie freundlich. „Das ganze Land lobt ihre Fähigkeiten, aber ich wette sie können sich nicht in ein großes gefährliches Tier verwandeln.“

Der Zauberer lachte schallend. „Natürlich kann ich das!“ Und im nächsten Augenblick stand ein Löwe vor der Schildkröte.

„Junge, Junge, beeindruckend,“ lobte sie ihn anerkennend. „ich bin begeistert ihrer Fähigkeiten. Aber wie sieht es mit unbelebten Gegenständen aus. Sagen wir…ein Salatblatt?“

Wieder lachte der Zauberer aufgrund des schlechten Scherzes, den er glaubte die Schildkröte mit ihm trieb. Und so ward aus dem Löwen ein Salatblatt geworden.

Die Schildkröte gar nicht dumm, hob das Salatblatt auf, legte es auf sein Brötchen und im Nu war der Zauberer aufgegessen. „Lecker!“

Sie putze sich den Mund ab und ging nach draußen auf die steinigen Stufen. Es dauerte nicht lange da fuhr die Kutsche des Königs heran.

„Willkommen meine königliche Hoheit in den bescheidenen Gemächern des Grafen Carrabas,“ begrüßte sie den König und sein Gefolge. Der arme Bauerssohn führte indes die schöne Prinzessin in den Ballsaal voll Gold und Edelstein. Nicht lang und am Hofe wurde Hochzeit gefeiert. Als der König starb, wurde der Graf neuer König und die Schildkröte sein erster Minister. So konnte sie sich um die Bedürftigen des Landes kümmern. Unten im Schloss errichtete sie eine Suppenküche, in der täglich frisch gekocht wurde für die arme Bevölkerung. Morgens stand sie schon in der Frühe in der Backstube, um allerhand Brötchen, Brot und Kuchen zu zaubern, welche sie mit einem kleinen Karren tagtäglich von nun an zu den Feldarbeitern trug. Im ganzen Land und weit darüber hinaus war der König und sein Minister für ihre Großherzigkeit bekannt und geschätzt. Nicht lange, da führten auch andere Höfe eine Suppenküche ein – der Beginn der Armenspeisung war geboren.

 

  

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