El Cuervo - Eine Geschichte von Mobbing und seinen Folgen
Heute möchte ich euch gerne eine kleine Geschichte erzählen, die ich eigentlich für einen Wettbewerb geschrieben hatte. Da das Thema Mobbing so verdammt aktuell ist und man nicht genug auf die Folgen aufmerksam machen kann, möchte ich euch diese Geschichte nicht vorenthalten. Ich weiß, dass Mobbing genauso wie Depression ein Tabuthema ist und das es deswegen für Autoren, egal ob Mensch oder Kröte schwer ist gesehen zu werden. Trotzdem möchte ich mein bisschen Talent nutzen, um genau diese unbequemen Themen aufzunehmen. Glaubt mir, in meinen 503 Krötenjahren, die ich nächsten Monat zähle, habe ich viel erlebt. An Land, bei See oder auch in der Luft - Schicksale begegneten mir überall und prägten meinen weiteren Lebensweg.
Mobbing ist so ein Thema, das immer wieder ungefragt mitten auf dem Lebensweg steht und sich nur schwer zur Seite schubsen lässt, damit man ungehindert weitergehen kann. In meiner Geschichte geht es genau um diesen fiesen Möpp namens Mobbing, der alleine nur sehr schwer zu besiegen ist und an der leider viele schon scheiterten. Dabei ist es so wichtig, nicht alleine diesen Weg zu gehen, auch wenn Freunde, Lehrer und Angehörige oftmals genauso sprachlos und ohnmächtig dem Ungetüm gegenüberstehen.
In unserem Projekt "krötenstark ins Leben" spielt Mobbing ebenfalls eine Rolle, oder besser gesagt Mobbingprävention. Es ist so ungemein wichtig, dass Kinder und Jugendliche mental stark sind, ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, stabile Bindungen und Beziehungen erfahren und das sie achtsam mit ihren Gefühlen umgehen lernen. Denn nur wenn sie achtsam zu sich sind, können sie achtsam zu ihren Mitmenschen sein. Geschichten wie El Cuervo sollen achtsam machen, darüber nachzudenken was mein Verhalten für Folgen haben kann für mich aber auch für andere. Sie sollen Leser sensibilisieren und ihnen aufzeigen, wie wichtig es ist aufeinander zu achten - mit wachen Augen auf seinem Weg zu gehen und die Mitmenschen um sich herum wahrzunehmen!
Und so hoffe ich, dass euch meine kleine Geschichte zum Nachdenken anregt und ihr achtsamer eure Wege geht! Euer Opa Whoopi
El Cuervo
Irgendwann wird es vorbei
sein
Kraaaaah... Kraaaaah...
Mein Blick folgt wie
gebannt den schwarzen Schwingen hoch über mir. Während ich ganz in Gedanken
versunken dem Schreien der Krähe über mir lausche, steigt der schwere Geruch
des Weihrauchs in meine Nase. Begleitet vom Läuten der Glocken, setzt sich die
kleine Scharr langsam in Bewegung. Ich entferne mich etwas von dem Sog aus
Tränen und Einsamkeit und setze mich auf einen kleinen Zaun nicht weit von der gebückt
gehenden Menge. Noch vor einer Woche hätte ich nicht im Traum daran gedacht
hier jemals zu sitzen. Hier auf dem kalten Zentralfriedhof, der mir bereits als
kleines Kind wie ein fremder Planet vorkam. „Warum denn das, fragtest du mich einmal
bei einem Schulausflug hierher vor zwei Jahren. „Na weil es auf fremden
Planeten kein Leben gibt und hier gibt es auch kein Leben mehr und deswegen
macht er mir Angst,“ hatte ich damals darauf geantwortet und glaube das
irgendwie auch heute noch. Die Menschen, die hierherkommen, scheinen ihren
Lebensmut vorne am Eingang abzugeben und ihn erst wieder beim Verlassen mit hinauszunehmen
– hinaus in die Welt, die so gar nichts mit diesem leblosen Platz hier zu tun
haben scheint. Und so steht auch die kleine schwarz gekleidete Gruppe vor mir mit
Tränen statt einem Lächeln im Gesicht um das Loch in ihrer Mitte. Es beginnt zu
regnen. Ein feiner, warmer Regen überzieht die Blätter der Linden, die den
steinigen Weg vor mir säumen. Trotz der Wärme dieses Julimonats friere ich. Dennoch
bleibe ich sitzen.
Kraaaaah... Kraaaaah...
Wieder geht mein Blick
fast automatisch zu dem Vogel, der scheinbar genauso wenig wie ich von deiner
Seite weichen will. Ich erinnere mich noch wie wir im letzten Schuljahr im
Spanischunterricht Besuch von einer Krähe auf dem Fenstersims hatten. Du hast
ihr gleich deine Hand entgegengestreckt und wolltest sie streicheln. So wie du
jedem Geschöpf immer mit Respekt und Liebe begegnet bist, so hast du auch sie gleich
in dein viel zu weiches Herz gelassen. El Cuervo – die Krähe, diese eine
Vokabel, so leicht und doch energisch vorgetragen durch unsere Spanischlehrerin
an diesem Tag, werde ich wohl nie mehr vergessen. Hätte ich gewusst, dass sie
mich auf diesen verhassten Friedhof führt, ich hätte sie gleich wieder aus
meinem Gedächtnis gestrichen. Da ein Stift flog durch die Luft, ein lautes
Lachen aus der hinteren Bank schreckte den Vogel und auch mich hoch. Wieder mal
wie so oft. Und Du? Du saßest nur da und schwiegst, so wie du immer schwiegst
in solchen Momenten. „Wehr dich doch mal!“ Wie oft hab ich dir das gesagt, dich
beinahe angefleht mit den Lehrern oder deinen Eltern darüber zu sprechen was
tagtäglich vor sich ging. Die Tritte, das höhnende Lachen, hier ein Schups, da
ein beleidigendes Wort. Du hast nie was gesagt außer: „Lass mal, irgendwann
wird es vorbei sein.“ Ja irgendwann wird es vorbei sein, aber musste es so
vorbeigehen? Was glaubst du hätten sie gesagt, die Lehrer, deine Eltern?
Wahrscheinlich dachtest du, das bringt eh nichts und machst es nur noch
schlimmer. Vermutlich hattest du Recht, vielleicht aber auch nicht, wer weiß
das jetzt schon so genau...
Kraaaaah... Kraaaaah...
Ohne dass ich es gemerkt
hatte war der Regen stärker geworden. Meine Haare hängen mir nun nass im
Gesicht wie eine achtbeinige Spinne, während sich in meinen Schuhen langsam
kleine Bäche bilden. Ich bleibe wie in Stein gemeißelt sitzen. Von meinem Platz
aus höre ich den Pfarrer über dich reden. „Er war so ein begabter Schüler, der
Stolz seiner Eltern.“ Am liebsten würde ich zu ihm gehen, ihm das Buch aus der
Hand reißen und ihm ins Gesicht schreien: „Scheiß auf begabter Schüler und
Stolz, das hat ihm auch nicht sein Leben gerettet! Du kanntest ihn doch gar
nicht!“ Stattdessen weine ich unmerklich mit dem Regen und denke an die letzten
Tage mit dir. Mittlerweile begannen die Sticheleien und Schikanen schon morgens
im Bus und nicht erst mit der Schulglocke auf dem Pausenhof. Mal wurde deine
Schultasche aus der offenen Tür geschmissen und du musstest die restlichen
Haltestellen zur Schule zu Fuß laufen. Natürlich bekamst du Ärger, weil du zu spät im Unterricht warst.
Ein anderes Mal haben sie dir dein Busticket abgenommen kurz bevor der
Kontrolleur kam, der dich unter schallendem Lachen der anderen aus dem Bus
gezogen hat. Und Du? Du hast wieder nichts gesagt, hast alle Schuld auf dich
genommen. Glaubtest immer noch es ginge irgendwann vorbei. Doch es ging nicht
vorbei, zu mindestens nicht so wie ich es mir gewünscht hätte. Aber was hatte
ich mir gewünscht? Dass sie sich bei dir entschuldigen? Das all die Schikanen in
der Schule, im Bus oder in den sozialen Medien einfach so aufhörten nur weil
jemand „bitte lass das“ sagt? Heute glaube ich du hattest Recht, ich bin
hoffnungslos naiv!
„Sag doch was, schrei
endlich so laut du kannst, schrei gegen diese Ungerechtigkeiten, mach doch
irgendwas!“ Ich weiß noch wie ich dich an den Schultern packte in der großen
Pause, drei Tage bevor du den Schikanen auf deine Weise ein Ende setzen
solltest. „Wenn du willst gehen wir gemeinsam zu einem Lehrer! Unsere
Klassenlehrerin ist doch Vertrauenslehrerin. Für irgendetwas muss sie doch gut
sein? Bitte wehr dich endlich, du...du bist doch mein bester Freund!“ Die
Verzweiflung brannte mir in den Augen, als sie sich immer mehr mit Tränen
füllten. Aber Du lächeltest nur: „Ach komm, reg dich nicht so auf. Du weißt
doch - Irgendwann wird es vorbei sein!“ Mit deinen großen blauen Augen
schautest du mich an, so als wolltest du mir zu verstehen geben – lass mal
gut sein, dass bringt doch eh alles nichts. Hattest du es da vielleicht
schon geahnt?
Kraaaaah... Kraaaaah...
Während du immer mehr in diesem
viel zu tiefen Loch in Erde versinkst sitze ich hier und denke nach. Was hatte
ich eigentlich getan um es zu verhindern? Hatte ich dich beschützt? Am Anfang
hatte ich es versucht, doch schnell wich mein Mut meiner eigenen Angst ins
Visier der Jungs aus der letzten Reihe zu geraten. Tagein, tagaus blieb mir also
nichts als zu zusehen und still mit dir mitzuleiden. Selbst in den sozialen
Medien habe ich nie den Mut gefunden ihnen zu schreiben was für Idioten sie
sind und was sie damit eigentlich anrichten. Zum Glück warst du nie ein Freund
von diesen Medien und so schwiegen wir einfach darüber. Oder hattest du
vielleicht doch einen dieser unsäglichen Accounts und hast es bloß nicht
erzählt aus Angst, deine Eltern könnten etwas herausfinden? Wusstest du
vielleicht längst, dass der Hass nicht an deiner Haltestelle zu Hause aufhörte?
„Du elendiger Feigling,“
entweicht es mir etwas zu laut. 3 Köpfe drehen sich gleichzeitig in meine
Richtung und sehen mich wütend an. Ich vergrabe meinen nassen Kopf zwischen
meinen Schultern, damit ich sie nicht mehr sehen muss. Ist doch eh egal,
geht es mir durch den Kopf. Sollen sie mich doch neben dich legen, das hätte
ich wenigstens verdient. Das wäre wenigstens mal eine gerechte Strafe. Lebendig
begraben dazu verdonnert, auf einem leblosen Friedhof, neben seinem leblosen
Freund ausharren zu müssen, bis die Leblosigkeit auch einen selbst holt. Der
Gedanke lässt mich erschaudern, genauso wie der Gedanke an unseren letzten Schultag.
Es war ein grauer
Freitag, dieser letzte Schultag den wir zusammen verbrachten. Immer wieder
schautest du gedankenverloren aus dem Fenster, wo „El Cuervo“ ihre Runden flog.
„Alles okay mit dir?“ Irgendetwas an deinem Verhalten beunruhigte mich, ohne
dass ich sagen kann, was es war. Still warst du im Unterricht ja eigentlich
immer, wenn du keine Matheformeln aufsagtest oder Englischvokabeln wie ein
menschliches Vokabelheft vortrugst. Ja du warst begabt. Ein Einser - Schüler
dem die Welt offenstand, anders als mir mit meinen dreien. Aber warst du
dadurch glücklicher? Waren sie nicht mit ein Grund warum du von der
berüchtigten „Fünfer – Gang“ auserwählt wurdest? Und waren sie es nicht auch,
die deinen letzten Schultag besiegelten? Es war die 5. Stunde – Erdkunde. Zwei
Wochen zuvor hatten wir diesen beschissenen Test geschrieben. „Nennt die 3 sich
überkreuzenden Flüsse der Taiga.“ Wenn man Schüler hasst wählt man genau solche
Aufgaben. Ich für mich übersprang die eine Aufgabe einfach, im Wissen das der
Rest reichen würde für eine 2. Du aber, brachst darüber mitten im Test in
Tränen aus, weil dir einer der Flüsse nicht einfiel. Ich dachte noch du
übertreibst und versuchte beim Trösten die restlichen Flüsse zu erhaschen, was
mir aber irgendwie nicht gelingen wollte. Als ich mitten im Test zu unserer
Erdkundelehrerin aufblickte und sah wie sie dich mit deinen Tränen musterte und
ihr schiefes Lächeln aufsetze, krampfte sich unwillkürlich mein Bauch zusammen.
Ungutes Gefühl oder „das innere Orakel“ wie du es immer bei mir nanntest.
Jedenfalls bekamen wir in dieser fünften Stunde unseren Test wieder.
Als ich meinen Test
schließlich in den Händen hielt, breitete sich tatsächlich ein Grinsen auf
meinem Gesicht aus – eine 2+, hey was wollte ich mehr?! „Schau mal...“ war aber
alles was ich noch herausbrachte als ich in dein ausdrucksloses Gesicht
blickte. Mein Blick fiel auf deinen Test, eine 1- stand dort in fetter
Rotschrift. „Ist...ist das nicht gut?“ Du schütteltest nur den Kopf. „Tja
dieses Mal hat es wohl nicht für eine glatte 1 gereicht bei dir!“ Wohlwollend
grinsend wie sie es bereits mitten im Test vor zwei Wochen getan hatte, stand
unsere Erdkundelehrerin vorne und blinzelte dich an, während die Gang sofort
los prustete und dich beschimpfte. „Du Versager, damit kannst du dich aber
nicht nach Hause trauen!“ Tatsächlich trautest du dich damit nicht nach Hause.
„Hey Kopf hoch, die eins auf dem Zeugnis schaffst du noch locker mit dem
nächsten Test,“ versuchte ich dich in meiner Unbeholfenheit aufzumuntern. Nicht
wissend, wie ich dir anders hätte helfen können, hätte helfen müssen wie ich
heute weiß. „Lass mal,“ sagtest du nur wieder und schautest aus dem Fenster.
Sofort zog sich wieder mein Bauch zusammen, als hätte ich diese eine immer
wiederkehrende böse Vorahnung gespürt. Die Schikanen sollten an diesem Tag
nicht mehr aufhören. Nicht in der sechsten Stunde, nicht in der siebten... Es
muss doch einem Lehrer auffallen schoss es mir durch den Kopf, warum tut denn
keiner was? Hatten sie etwa genauso viel Angst wie ich oder war es ihnen
einfach egal? Wieder sah ich deinen Blick aus dem Fenster. „Schrei endlich,
schrei es ihnen entgegen,“ brüllte alles in mir, aber auch ich blieb still.
Kraaaaah... Kraaaaah...
Langsam setzt sich die
Menge wieder in Bewegung. Als sie an mir vorbei auf dem gepflasterten Weg gehen
erkenne ich sie alle – unsere Klassenlehrerin, unser Mathelehrer, sogar unsere
Erdkundelehrerin hat sich hierher getraut. Haben sie denn gar kein schlechtes
Gewissen? Wie können sie den Eltern bloß noch in die Augen schauen? Was werden
sie ihnen erzählt haben, über ihren Sohn, über das was tagtäglich in ihrer
Klasse vor sich ging? Sicher werden sie deine Eltern ohne den Mundwinkel zucken
zu lassen, angelogen haben. „Ihr Sohn war bei allen Klassenkameraden und
Lehrern ja soooo beliebt! Was für ein tragischer Verlust!“ Pah, von wegen...
Meinem kalten Blick weichen sie aus, wissend was ich in diesem Moment von ihnen
halte. Mich können sie nicht täuschen. Im Gegensatz zu deinen Eltern, denen du
nie etwas von den Problemen sagtest, die nie in der Schule oder im Bus dabei
waren, saß oder stand ich fast jedes Mal daneben. Ich habe alles mitbekommen,
vom ersten bis zum letzten Tag. Der Regen hat allmählich nachgelassen, sodass
nur noch meine Kleidung an mir herabtropft. Ich schaue zu deinem Grab herüber,
an dem zwei Männer jetzt eifrig damit beschäftigt sind, die Lücke die im Rasen
klafft wieder mit Erde zu füllen. Und wer füllt die Lücke im Herzen mit Erde
aus, damit es wieder ganz wird?
Kraaaaah... Kraaaaah...
Ich werde den Gedanken
nicht los, dass „El Cuervo“ mit ihrem unaufhörlichen Geschreie all das der
Menge entgegen schreien will was du nicht geschafft hast. Du hattest einfach
nicht die Kraft dazu...und ich auch nicht. Als wollte ihr Kraaaaah... jeden da vorne
anklagen und ihnen zurufen: „Warum habt ihr das zugelassen?“ An diesem Freitag
nach der siebten Stunde trennten sich unsere Wege – für immer. Während mich
mein Vater wie jeden Freitag zum Fußballtraining mit dem Auto abholte, gingst
du normal zu Fuß Richtung Bushaltestelle. „Tschüss,“ war alles was wir beide
noch herausbrachten. Wie oft habe ich mir seit diesem Freitag gewünscht, du
hättest mir an diesem Nachmittag eine Nachricht von deinem Handy geschickt.
Glaub mir, ich hätte den verdammten Ball ins Tor gedonnert und wäre sofort vom Sportplatz zur Schule geeilt
um bei dir zu sein. Leider kam keine Nachricht von dir und auch keine Nachfrage
deiner Eltern, ob du vielleicht bei mir wärst, als du nicht nach Hause kamst,
so wie sonst immer mit dem Bus um 14:39 Uhr. Wann du später umdrehtest, um zur
Schule zurückzulaufen und dich wie ein Vogel aus dem 4. Stockwerk, unserem
Klassenzimmer, auf den Schulhof fallen zu lassen, weiß niemand so genau, auch
nicht wie du ins Schulgebäude gelangtest. Nur das du endlich frei sein wolltest
– frei sein wie El Cuervo. Als man dich den nächsten Morgen fand, standen in
großen weißen Buchstaben an der Tafel in unserem Klassenzimmer deine unvergessenen
fünf Worte – IRGENDWANN WIRD ES VORBEI SEIN.
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